Handschrift rekonstruieren – Oder auch: Die schönsten Aufträge.
Ein Anruf: “Sie kennen sich ja mit Schrift aus. Können Sie auch in der Handschrift von jemand anderes etwas schreiben?” Ganz ehrlich: Genau diese kleinen und speziellen Anfragen sind die allerschönsten für mich im Arbeitsalltag.
Die Kundin kam vorbei und brachte zwei Original-Rezepthefte ihrer Großmutter von um 1936 mit. Ihr Wunsch war, der Familie zu Weihnachten Postkarten zu schicken mit einem Satz, der ihre Oma auszeichnete, denn mittlerweile war sie leider verstorben.
Was auch immer in der Familie passierte und zu tun war, Großmutter Katharina pflegte zu sagen: “Einfach machen”. Als Feststellung, nicht als Anweisung. Deswegen war für die Kundin bereits vorab klar, dass hinter den Spruch ein Punkt müsse, kein Ausrufezeichen.
Sie wünschte sich die Formen der Handschrift ihrer Großmutter aus den Rezeptbüchern, damals muss sie Jugendliche gewesen sein. Auch generell wäre es schön, die Anmutung des Rezeptbuches in edler Ausführung für die Postkarten zu nutzen.
So laß ich im Buch, rekonstruierte die Sütterlin Handschrift der Großmutter, schrieb in verschiedenen Ausführungen den Satz zusammen und scannte leere Seiten des schon vergilbten Buches für den Hintergrund ein.
Währenddessen wurde durch einige persönliche Briefe, die Großmutter in diesen Heften vorgeschrieben hatte, auch ersichtlich, woher ihre Attitüde kam. Ich bekam hier die Chance den Menschen hinter den Worten kennenzulernen und in eine Kriegszeit einzutauchen, die mir nie vorher so greifbar war. – Der Familie war gar nicht bewusst gewesen, dass in den Heften auch Briefe enthalten waren. Ich las sie der Enkelin bei einem gemeinsamen Termin vor.
Die Kundin entschied sich am Ende für einen Schriftzug mit dem dicken Marker geschrieben, um den heutigen, plakativen Zeitgeist einzufangen und als Hintergrund für den Scan der Verbindungsseite von den Blättern zum Buchumschlag. Die Postkarten ließen wir auf naturbelassenem Karton mit leichter Struktur drucken. Die Kanten wurden locker von Hand vergoldet, um sie passend zu Weihnachten etwas edel anmuten zu lassen.
So ist Oma Katharinas Ausspruch nun in der ganzen Familie zu Weihnachten eingetrudelt. Und wenn in der nächsten Zeit jemand an einer Entscheidung zweifeln sollte, stehen ihre Worte helfend zur Verfügung:
Einfach machen.
Es entstand auch noch eine zweite Karte für den Bruder der Kundin. Die beiden übernachteten als Kinder öfter bei Oma. Dort schliefen sie mit im Ehebett. Sie mussten früher schlafen gehen, während Oma gerne noch lange im Bett neben ihnen bei angeschaltetem Licht las. Wenn die Kinder sich beschwerten, dass sie wegen des Lichtes nicht schlafen könnten, sagte Großmutter:”Mach de Augen zu dann is et dunkel.”
Die Familie war so begeistert von den Geschenken, dass sie die Karten gerne in einem größeren Format als Zitat gerahmt für die Wand haben wollten. Also erstellte ich die Unterschrift von Oma nachträglich digital, um sie mit einzufügen.
Die Kundin suchte die schlichten, weißen Rahmen aus. Meine Aufgabe war es die alte Optik in der Mitte mit dem modernen Äußeren verschmelzen zu lassen. Nach einigen Versuchen war klar, dass der Goldrahmen der Karte locker ins Passepartout übergehen sollte.
Mit dem Endergebnis waren wir sehr glücklich! Es ist ein Geschenk in solch’ persönlich bedeutsamen Geschenken seine Finger mit im Spiel zu haben und jemandem schriftlich eine Stimme zu verleihen, der keine akustisch hörbare mehr hat. 💛